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Copyright Bartók-Archiv, Institut für Musikwissenschaft der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 2004-2005
Privatleben
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Eine der charakteristischen
Eigenschaften Béla Bartóks war, daß er immer
lehrte, seine Erfahrungen weitergab und die zu
seinem Kreis Gehörenden zu gebildeteren,
aufgeschlosseneren Menschen erziehen wollte.
Meine Schwester und ich lernten – noch als
Schülerinnen – mit seiner Hilfe die Budapester
Museen und Galerien kennen. Er lehrte uns die
Namen der Sterne, das Präparieren der von ihm
gesammelten Käfer und Schmetterlinge, er machte
mich und meine Schwester mit der Dichtung Endre
Adys sowie seinen französischen
Lieblingsautoren, Flaubert, Maupassant, Daudet,
wie auch mit einem seiner Lieblingsbücher „Niels
Lyhne“, bekannt.
Auch von unterrichtender Tendenz [...] war es,
wenn er an manchen Abenden, an denen er weniger
beschäftigt war, mit unbekannte Werke auf dem
Klavier vorspielte und ich den Komponisten
erraten mußte.
Als er telegraphisch die Nachricht von der
Geburt unseres Sohnes Béla erhielt, war sein
erster Gedanke – wie er mir später auf meine
Frage, mit Tränen in den Augen sagte: „Ich
dachte daran, daß ich ihm das Schreiben
beibringen werde.“
Márta Ziegler, Über Béla
Bartók, in: Documenta Bartókiana,
hrsg. von Denijs Dille, Heft 4,
Budapest, 1970, S. 173f
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Bei der untersten
Klasse, beim Volk, ist es um so schöner, je mehr
es sich an die Tradition klammert. Aber die
Menschen der obersten Klasse müssen sich immer
mehr von dieser losmachen. Einen Mittelweg gibt
es nicht. [...] Deshalb ist jene Mittelklasse,
die zwischen der Oberschicht und der
Bauernklasse steht, in ihrer Beschränktheit
geradezu ungenießbar. Bei den Bauern lieben wir
ihre in allem sich offenbarende, oft
ursprünglich kräftige und kindliche Naivität,
bei der Oberschicht imponiert die geistige
Kraft; doch die Albernheit der Mittelmäßigen –
dazu gerechnet den größeren Teil der „Herren“ –
ist unerträglich; denn ihr fehlt die natürliche
Naivität.
Bartóks Brief vom 27. Juli
1907, in: Béla Bartók, Briefe an Stefi Geyer,
1907–1908,
Privatdruck Paul Sacher Stiftung, Basel, 1979,
S. 21 |

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Ich glaube fest daran
und bekenne, daß jede wahre Kunst sich durch die
von uns aufgenommenen Impressionen aus der
Außenwelt – unter dem Eindruck der „Erlebnisse“
– offenbart. [...] Ich kann mir künstlerische
Produkte nicht anders vorstellen, als daß darin
unbegrenzte Begeisterung, Verzweifelung, Kummer,
Zorn, Rache, verzerrender Hohn, Sarkasmus ihres
Schöpfers zum Ausdruck kommen. Früher glaubte
ich es nicht, bis ich selbst feststellte, daß es
eigentlich die Werke eines Menschen sind, die
die bedeutsamen Ereignisse und die sein Leben
bestimmenden Passionen genauer vermitteln als
die Biographien selbst. [...]
Es ist sonderbar, daß in der Musik bisher nur
die Begeisterung, die Liebe, die Wehmut,
höchstens die Erbitterung – also nur die
sogenannten erhabenen Gefühle – eine initiative
Rolle spielten, während Rache, Karikatur und
Sarkasmus erst in unserer Zeit zu musikalischem
Ausdruck kommen bzw. kommen werden. Deshalb
könnte man die heutige Tonkunst im Gegensatz zu
dem sich in früheren Epochen offenbarenden
Idealismus vielleicht realistisch nennen,
aufrichtig und wahrhaftig nimmt sie ohne
Unterschied jegliche menschlichen Gefühle in die
Reihe des Ausdrückbaren auf. [...]
Noch ein weiterer, ganz anderer Faktor macht die
zeitgenössische Musik (die des XX. Jahrhunderts)
realistisch: dass sie nach Impressionen von der
großen Realität der uns umgebenden Volkskunst
sucht.
Bartóks Brief an Márta und
Hermina Ziegler vom 4. Februar 1909,
zitiert nach Tibor Tallián, Béla Bartók. Sein Leben und Werk,
Budapest, 1988, S. 91f und 105
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Auf einem unserer Wandertouren auf dem
Ortler... ließen wir uns zum Mittag nieder.
Unser Esszimmer jenes Tages war eine Lichtung
mit hohem Gras bewachsen, umgeben von Bäumen und
Büschen, abgelegen und Ungestörtheit
versprechend. Wir verteilten die Mäntel auf dem
Boden, öffneten Flaschen und wickelten mit
großem Appetit unsere Brote aus, als mein Vater
vorschlug, aufzustehen und einen anderen Platz
zu suchen. Meine Mutter und ich protestierten.
„Aber warum? Hier ist es gut.“, „Ich habe
Hunger“.
„Es ist mir
nicht ganz recht.“ sagte mein Vater und wir
mussten alles nochmal einpacken. Irgendetwas
störte meinen Vater. Aber wir hatten keine Wahl;
seine Anweisungen mussten befolgt werden, wenn
auch nur ungern. Erst als wir uns in
beträchtlicher Ferne befanden, lieferte er uns
eine Erklärung: „Da war eine Schlange im Gras,
die sich aufgrund ihrer Rückenmusterung als
giftig herausstellte. Aber ich wollte es euch
nicht sagen, um euch nicht zu ängstigen.“
Die ganze
Zeit über, während wir das unser Zeug
zusammensammelten, nahm er unsere mürrischen
Kommentare ohne ein Gegenwort hin und achtete
darauf, dass wir der Schlange, die nur er sah,
nicht zu nahe kamen.
Peter Bartók, My Father
(Homosassa, Florida: Bartók Records, 2002), 77 |
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Es ging mir nun nach dem langen Nichtstun wie
einem Menschen, der lange-lange Zeit unbeweglich
im Bett gelegen hatte und endlich einmal
versucht, Hände und Füße zu bewegen, aufzustehen
und einige Schritte zu machen. Ein solcher
Mensch kann nicht einfach so plötzlich auf einen
Berg hinaufklettern. So gewöhnte auch ich mich
nur langsam an die Bewegung und konnte zunächst
nur Klavierstücke hervorbringen. Aber auch das
war schon etwas, denn ich war mir – aufrichtig
gesagt – in der letzten Zeit schon so dumm,
betäubt und hohlküpfig vorgekommen, daß ich
wahrhaftig daran zweifelte, überhaupt noch etwas
Neues schreiben zu können. Mich bedrückte das
wirre Chaos von Begriffen, mit denen die
Musikzeitschriften um sich warfen, wenn sie über
die neue Musik schrieben: linear, horizontal,
vertikal, objektiv, unpersönlich, polyphon,
homophon, tonal, polytonal, atonal und so
weiter. Selbst wenn man sich um all das nicht
weiter kümmert, so wird man doch ein wenig
betäubt, da man es so oft ins Ohr geschrien
bekommt. [...] Doch nun ist alles in Ordnung; Du
kannst Dir sicher meine Freude vorstellen,
endlich entsteht doch etwas Neues, noch dazu
werde ich es auch selbst spielen könne, ganz
allein, anstatt des ewigen Allegro barbaro,
Etwas angeheitert oder des Rumänischen Tanzes.
Bartóks Brief an Ditta
Pásztory-Bartók vom 21. Juni 1926, zitiert nach
Tibor Tallián,
Béla Bartók. Sein Leben und Werk, Budapest,
1988, S. 164f |
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Eben vorgestern erhielt ich
den berüchtigten Fragebogen, mit Fragen über Großväter
usw., dann: „Sind sie deutschblütig, rassenverwandt oder
nichtarisch?“ Natürlich wird dieser Fragebogen weder von
mir noch von Kodály ausgefüllt: unser Standpunkt ist,
daß solche Fragerei (!) rechts- und statutenwidrig ist.
(Eigentlich schade, denn man könnte bei der Beantwortung
schöne Späße machen, z. B. sagen, wir sind nichtarisch –
weil ja schließlich, wie ich aus meinem Lexikon erfahre,
„arisch“ heißt „indoeuropäisch“; wir Ungarn sind jedoch
finno-ugrisch, ja sogar vielleicht rassenmäßig
nordtürkisch, also überhaupt nicht indoeuropäisch,
damzufolge nicht arisch. Eine andere Frage lautet:
„Wo und wann
wurden Sie verwundet?“ Antwort:
„Am 11., 12.
und 13. März in Wien!“
Aber leider können wir uns diese Späßchen nicht
erlauben, denn wir müssen eben daran festhalten, daß
dieser statutenwidrige Fragebogen uns nichts angeht und
deshalb unbeantwortet bleiben muß.
Bartóks Brief an Frau Müller-Widmann vom
13. April 1938, in: Béla Bartók. Weg und Werk,
zusammengestellt von Bence Szabolcsi, Budapest, 1957, S.
281f
Eigentlich ist diese Reise ein Sprung in’s Ungewisse
aus dem gewussten Unerträglichen. Schon wegen meinem
nicht ganz befriedigenden Zustand; ich meine das noch
immer nicht geheilte Periarthritis. Weiss Gott, wie und
wielange ich dort draussen arbeiten kann.
Aber es ist nichts zu machen; es ist garnicht die Frage:
muss es sein; denn es muss sein.
Bartóks Brief an Frau Müller-Widmann vom
14. Oktober 1940, in: Béla Bartók, Briefe,
hrsg. von János Demény, Budapest, 1973, Bd. II, S. 155f
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