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„eine Art ideal erdachte Bauernmusik“

 

In seinen Kompositionen entwickelte er Themen [auf dem Basis der von ihm gesammelten Volksmusik], vermischte Volksmusik und Kunstmusik,
bzw. schuf auch neue, aber genauso wertvolle Motive, was von Serge Moreux sehr richtig als folklore imaginaire bezeichnet wurde.

Louis Durey, Hommage à Béla Bartók, in: Béla Bartók. L’Homme et l’Oeuvre, Sonderheft von La Revue Musicale, Nr. 224 (1955), S. 10.

  

 

Die auf dem Programm stehende Tanz-Suite ist eines meiner neuesten Werke, ich habe es im Sommer geschrieben. Sie besteht aus fünf Teilen, die attacca ohne Pause aufeinander folgen. Alle fünf Tänze haben originale, volkstümliche aber keine eigentlichen Volksthemen, und statt einer Unterbrechung habe ich zwischen den Tänzen ein kurzes Ritornell verwendet. Ein solches Ritornell ist zwischen dem ersten und zweiten, dem zweiten und dritten, sowie zwischen dem vierten und fünften Satz. Nach dem fünften Satz oder Tanz kommt ebenfalls attacca ein finaleartiger Teil, in dem alle vorherigen Themen wiederkehren.

Bartók, Tanz-Suite (1923), in: Bartók Béla Írásai [Die Schriften von Béla Bartók], Bd. 1,
hrsg. von Tibor Tallián, Budapest, 1989, S. 66

 

Ziel des ganzen Werkes war es nämlich, eine Art ideal erdachter Bauernmusik, ich könnte sagen, erdichtete Bauernmusiken nebeneinanderzustellen, so daß die einzelnen Sätze bestimmte musikalische Typen darstellen. – Als Modell diente die Bauernmusik verschiedener Nationalitäten: ungarische, walachische, slowakische und auch arabische, zuweilen kam es sogar zur Überschneidung dieser Arten. So erinnert zum bispiel die Melodik des ersten Themas im ersten Satz an primitive arabische Bauernmusik, seine Rhythmik jedoch an die osteuropäische Volksmusik. [...] Das Ritornell stellt eine so folkloregetreue Nachahmung gewisser ungarischer Volksmelodien dar, daß es betreffs seiner Herkunft sogar äuerst bewanderte Musikfolkloristen täuschen könnte.

Bartók über die Tanzsuite (1931), zitiert nach
Tibor Tallián, Béla Bartók. Sein Leben und Werk,  Budapest, 1988, S. 155f

 
 
  

  

 
  

  

               


 

     

  

  

  

 

 

 
 

 

 

 

 

Wie kann der Einfluß der Bauernmusik in der höheren Kunstmusik in Erscheinung treten?
            Vor allem in der Weise, daß wir die Bauernmelodie ohne jedwede Veränderung oder nur wenig variiert mit einer Begleitung versehen und evenetuell noch mit einem Vor- und Nachspiel einfassen. Solche Arbeiten weisen einige Ähnlichkeiten mit Bachs Choralbearbeitungen auf. [...]
            Eine andere Erscheinungsart des Einflusses der Bauernmusik ist folgende: Der Komponist verwendet keine echte Bauernmelodie, erfindet anstatt dessen selbst irgendeine Bauernmelodien-Imitation. Zwischen dieser und der oben beschriebenen Methode besteht im Grunde kein wesentlicher Unterschied. [...]
            Schließlich kann sich die Einwirkung der Bauernmusik in den Werken des Komponisten noch auf eine dritte Weise bemerkbar machen: wenn er zwar weder Bauernmelodien noch ihre Imitationen verarbeitet, seiner Musik jedoch dieselbe Atmosphäre entströmt wie der Bauernmusik. In diesem Fall kann gesagt werden, daß der Komponist die Musiksprache der Bauern erlernt hat und sie so vollkommen beherrscht wie ein Dichter seine Muttersprache.

Bartók, Vom Einfluß der Bauernmusik auf die Musik unserer Zeit (1931),
in: Béla Bartók. Weg und Werk, hrsg. von Bence Szabolcsi, Budapest, 1972, S. 169ff

 

 

Die Ehre des Festivals wurde größtenteils durch das letztaufgeführte Werk gerettet. Dies war Béla Bartóks Tanz-Suite, komponiert vor zwei Jahren für die Festlichkeiten zum Andenken der Vereinigung von Buda und Pest. Es ist schwierig vorzustellen, dass Bartók einmal Musik schreiben könnte, die nicht bis in die feinsten und unmittelbarsten Effekte auf die höchste Art herausgearbeitet wäre. Seine Gedanken sind voll kleiner Verwicklungen, die während der Aufführung mit bewundernswerter Disziplin ihren richtigen Platz finden. Mögen sich zwar Rhythmen, Farben und Akzente verwickeln – aber wie einzigartig und hellsichtig ist der überwachende Geist! In dieser Suite gibt es manche dunklen Gedanken; sie scheinen absichtlich verdunkelt zu sein, denn kurz darauf kommt ein Blitz, der sogar die verborgensten Winkel der Partitur erhellt. Das Thema des Ritornells wird kapriziös verwendet, um eine Kontinuität zu verschaffen, und am Ende werden alle elementaren, barbarischen Kräfte entfesselt, die im Grunde genommen die Quelle von Bartóks Inspiration ausmachen. Wo findet man unter den zeitgenössischen Musikern noch einen so schnellen und brillanten Geist?

Basil Maine, The Prague Festival, in: The Music Bulletin 7, Nr. 6 (1925), S. 157

 

.Schließlich möge am Ende des Konzerts ein wahres Meisterwerk ertönen, Béla Bartóks Tanz-Suite, eine geistvolle Musik, so farbenprächtig wie einige wunderbare magyarische hausgewebte Stoffe, eine Musik von atemberaubender Technik und zugleich von raffinierter, jedoch spontaner und bezaubernder Poesie. Selten hat mich etwas in den letzten Jahren mit seiner Schönheit und sowohl geistlicher als auch technischer Vollkommenheit so tief beeindruckt.

Alfredo Casella, “Lettera da Praga,” Il Pianoforte 6, Nr. 5 (1925), 195